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e r aber lig. istiker information & forschung Das Gehirn in der Petrischale: FÜR DIE MEDIZINISCHE FORSCHUNG, ABER AUCH FÜR THERAPIEN AM PATIENTEN ERÖFFNET DIE ZUCHT VON ORGANARTIGEN GEWEBEN NEUE PERSPEKTIVEN UND WEGE. Organoide in der Forschung Thomas Kolbe Fachwissenschaftler für Versuchstierkunde, Ass.-Prof. für die Service-Plattform Biomodels Austria Veterinärmedizinische Universität Wien Foto: © pixabay.com 18 | SEPTEMBER 2018 W ie bekomme ich ein Gehirn in die Petrischale: Schrump- fen oder Aufblähen‹, mag sich eine/r lästerlich fragen. eder noch, sondern neu züchten, ist die Antwort. 2014 gelang Wiener Wissen- schaftlern am Institut für Molekulare Bio- technologie ein eher zufälliger Durchbruch indem sie es schafften aus Stammzellen kleine dreidimensionale Gehirnabschnitte im Labor zu züchten. Bisher war die Kultur von Nervenzellen, die sich sehr langsam teilen, auch schon ein Kunststück für er- fahrene Wissenschaftler. Aber nun war es gelungen, ein kugelförmiges Stück Gehirn mit allen Strukturen und Verschaltungen künstlich zu züchten. Was fängt man damit an? Wird das in Zukunft das biologische Gegenstück zu Alexa & Co.? Ein Gesprächspartner für einsame Abende und zum Schachspielen, im Goldfischglas neben dem Sofa? Nein, ein Bewusstsein werden diese Gehirnseg- mente sicher nicht entwickeln. Sie haben auch weder Input über Sinnesorgane wie Augen, Ohren, Haut noch können sie Si- gnale nach außen abgeben und sich über Sprache oder Bewegung äußern. Faszinierend ist schon allein, dass sich verschiedene Zellen eines Organes ganz von alleine so anordnen und organisie- ren, dass sie den korrekten Aufbau dieses Gewebes erreichen. Und auch dessen Funktion zeigen. Bisher sind diese Darm- , Nieren-, Netzhaut-, Leber- und Gehirn-Organoide nur wenige Millimeter groß. Aber da die Organoide aus Patienten-eigenen Zellen bestehen, kann man Störungen oder Fehlfunktionen an ihnen untersuchen, ohne dem Patienten ständig Proben entnehmen zu müssen. Auch lassen sich Medikamente und Therapien zuerst an den Organoiden erproben, ehe man sie am Patienten anwendet. Eines fernen Tages lassen sich so vielleicht sogar ganze Organe in Originalgröße rekonstruieren. Mit den winzigen Leberorganoiden ist es schon gelungen, sie in Versuchstiere mit defekter Leber zu transplantieren und diese damit am Leben zu erhalten. Für den Menschen braucht es zwar deutlich größere Organoide, aber prinzipiell funktioniert das Verfahren. Den meisten Nutzen versprechen sich aber die Neurophysiologen vom Studium der Gehirn-Organoide, da das Gehirn ein ständig im Umbau befindliches Organ ist: Kurz vor und besonders nach der Geburt vermehren sich die Gehirnzellen rapide und schicken massenhaft Ausläufer in alle Gehirnregionen um sich dort zu verknüpfen. Dann werden während Kindheit und Jugend viele Verknüp- fungen wieder entfernt und andere dafür gefestigt. In der Pubertät setzt noch einmal ein vollkommener Umbau der Verknüp- fungen ein (eine Belastungsprobe für ihre familiäre Umwelt). Dann bleibt das Gehirn jahrzehntelang stabil (im Idealfall), bis im Alter Gedächtnisschaltungen der Gegenwart schwieriger werden, während Erinnerungen aus lang zurückliegenden Zeiten wieder intensiver werden. Schließlich sinkt die Funk- tionalität immer weiter ab. Literatur Madeline A. Lancaster and Juergen A. Knoblich (2014): Organogenesis in a dish: Modeling development and disease using organoid technologies. Science 345 (6194).[doi: 10.1126/sci- ence.1247125]. Cassandra Willyard (2015): The boom in mini stomachs, brains, breasts, kidneys and more. Nature 523 (520-522). [doi: 10.1038/523520a].

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