Ein wunderbarer Duft:
DER RAUCH, SEIN SINN UND DESSEN GEISTER (Teil 2)
Weihrauch und Myrrhe
information & verantwortung
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4 | MÄRZ 2013
ONLINEZEITUNG:
Dagmar Pretsch, Bakk.,
Biomedizinerin, dzt. Master
in Verhaltens- Neuro- und
Kognitionswissenschaft mit
dem Schwerpunkt
"Neurodegenerative
Erkrankungen."
Foto: © Abstractus Designus - Fotolia.com
W
ichtige Dinge verschwinden
nicht. Sie schlummern in der
Tiefe. Doch wenn ihre Zeit wie-
der gekommen ist, erwachen sie und er-
scheinen wie neu. Eine der bedeutendsten
Leistungen der Renaissance war die Wie-
derentdeckung der heidnischen Mysteri-
en und der alten Schriften. Dadurch kam
viel antikes Gedankengut zu neuer Blüte.
Die Alchemie hatte Hochkonjunktur. Ihr
lagen spätantike Werke, aber auch mit-
telalterliche Schriften zugrunde. Einige
Kapitel aus der Naturgeschichte des Pli-
nius bildeten das Ausgangsmaterial der
alchemistischen Kräuterkunde, aber das
einflussreichste Werk hinterließ Agrippa
von Nettesheim (1486-1535).
WANDLUNG DES GEISTES
Er hat zahlreiche antike Quellen ausge-
wertet und kommentiert. Viele Kapitel
in seinem Buch handeln über Räuche-
rungen: „Räucherungen, Opfer und
Salbungen durchdringen alles und er-
schließen die Pforten der Elemente und
der Himmel, dass der Mensch durch
dieselben hindurch die Geheimnisse des
Schöpfers, die himmlischen Dinge und
was über den Himmeln ist, sehen und er-
kennen kann.“ In der Alchemie ging es
nicht um die materielle Verwandlung von
Blei in Gold, sondern um die Wandlung
des Geistes, um spirituelles Wachstum.
Räuchern wurde schon immer als ein al-
chemistischer Prozess angesehen. Beim
Räuchern werden ausgewählte Harze
und aromatische Pflanzen auf einer Feu-
erstelle verbrannt. Der „Geist“ der Pflan-
ze wird von der Materie befreit und durch
die Glut des Feuers transformiert. Die an
den Rauch gebundenen Duftmoleküle
werden via Nasenschleimhaut direkt an
das limbische System im Gehirn weiter-
geleitet und beeinflussen den Körper auf
unterschiedlichste Art und Weise. Sie be-
einflussen die Gefühlswelt und das Erin-
nerungsvermögen.
SAGENUMWOBENE PFLANZEN
Eine der bekanntesten Räuchermi-
schungen besteht aus Weihrauch und
Myrrhe. Sie wurde schon seit alten Zeiten
zur Verehrung der Götter verbrannt. Von
Arabien wurde das Harz nach Ägypten,
nach Griechenland bis nach Indien ver-
schifft und von Karawanen auf der soge-
nannten Weihrauchstrasse – vermutlich
die älteste Handelsstrasse der Welt – in
alle Städte und Tempel der antiken Welt
transportiert. Die alten Weisen räucher-
ten Weihrauch und Myrrhe zu gleichen
Teilen gemeinsam, denn Weihrauch re-
präsentiert und unterstützt das Männ-
liche während Myrrhe für das Weibliche
steht. Deshalb hilft der Weihrauch, die
Materie mit Geist zu durchdringen, wäh-
rend die Myrrhe uns die Geheimnisse
der Materie eröffnet. Später nimmt der
Weihrauch die vorherrschende Rolle ein,
während die Myrrhe kaum noch Verwen-
dung findet. So drängt sich einem die
Frage auf. „Spiegelt das Gleichgewicht
bzw. Ungleichgewicht dieser ältesten
Räuchermischung die Geisteshaltung der
jeweiligen Zeit wieder?
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