LERNEN MIT ZUKUNFT Ausgabe Juni 2014 - page 12

Der Peter:
DAS KAFFEEHAUS WAR SEINE ARBEITSSTÄTTE, SEIN REFUGIUM, SEIN
PARLAMENT, SEIN TRAMPOLIN INS LEBEN
Kaffeehausliterat & Lebenskünstler
ONLINEZEITUNG:
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war Jurist, ohne Jus zu studieren, war
Mediziner, ohne Medizin zu studieren,
war Buchhändler, ohne Bücher zu ver-
kaufen, Liebhaber, ohne je zu heiraten
und zuletzt Dichter, ohne Dichtungen
hervorzubringen.
Denn sind meine kleinen Sachen Dich-
tungen?! Keineswegs. Es sind Extrakte!
Extrakte des Lebens. – Karl Kraus, der
unnahbare „Fackel“ Herausgeber und
Meister des Aphorismus schickte die
Skizzen von P.A . dem Verleger
S. Fischer nach Berlin, der bald darauf
das Erstlingswerk „Wie ich es sehe“ von
P.A. drucken ließ. Arthur Schnitzler, Her-
mann Bahr und Richard Beer-Hofmann
nahmen sich des neuen Dichters an, wei-
tere Berühmtheiten der damaligen Zeit
wie Egon Friedell, Hugo von Hofmanns-
thal, Alfred Polgar, oder der Architekt
Adolf Loos gehörten bald zur Tischgesell-
schaft des auffälligen „Schnorrers“ Peter
Altenberg im Cafe Central.
Er meinte: „Ich kann überall schreck-
lichste Mängel sehen, weil ich ebenso
viele herrliche Vorzüge überall zugleich
erschaue! Besonders die anmutigen zart-
gegliederten, beweglichen, edelhautigen
Frauen geben uns Gelegenheit, sie zu
bewundern, anzubeten, zu verwöhnen,
während wir zugleich in unser inneres
Tagebuch und Nachtbuch schreck-
liche und vernichtende Dinge über sie
notieren!“„Ich möchte auf
meinem Grabsteine die Worte haben: „Er
liebte und sah“, schrieb er in seine oben
Prof. Franz W. Strohmer
Journalist, Vize Präsident
des Badener Presseclubs
E
r hieß eigentlich „Richard Eng-
länder“ und nannte sich „Peter
Altenberg“ aus nicht bekannten
Gründen, als er begann, seine Schriften
zu publizieren. Später zeichnete er mit
„P.A.“ oder nur mit „Peter“.
Halb Wien kannte ihn persönlich, die
andere Hälfte wenigstens vom Hören-
sagen, und wer ihn gar nicht kannte,
war bestimmt kein Wiener. Der Kopf
länglich, Glatze mit etwas Haarwuchs an
den Schläfen, starke Tränensäcke, weit
vorspringende Nase, darauf ein Zwicker
am Bande, ein fast eckiges Kinn und das
ganz besondere Kennzeichen, unver-
kennbar und ins Auge springend „der
dichte Seehundsbart“, so konnte man
seinen Charakterkopf wohl beschreiben.
In seiner „Selbstbiographie“, die
genauso kurz gefasst war, wie seine
Schilderungen oder Skizzen aus dem
Alltagsleben, ist zu lesen: Ich bin gebo-
ren 1862 (was nicht stimmt, denn sein
tatsächliches Geburtsjahr war 1859) in
Wien. Mein Vater ist Kaufmann. Nein,
einen solchen Idealisten gibt es nicht
mehr auf dieser Welt. Man fragte ihn
einmal: „Sind Sie nicht stolz auf Ihren
Sohn?“ Er erwiderte: „Ich war nicht sehr
gekränkt, dass er 30 Jahre ein Tunicht-
gut gewesen ist. So bin ich nicht sehr
geehrt, wenn er jetzt ein Dichter ist! Ich
gab ihm Freiheit!“
Jawohl, edelster merkwürdigster aller
Väter, lange habe ich Dein göttliches
Geschenk der Freiheit missbraucht,
habe edle und ganz unedle Damen heiß
geliebt, bin in Wäldern herumgelungert,
12 | JUNI 2014
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"Cafe Central,
Wien und Peter
Altenberg":
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