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Eines der großen Rätsel:

IST EIN MENSCHLICHES BEWUSSTSEIN EINZIGARTIG ODER

KANN MAN ES KÜNSTLICH ERZEUGEN?

information & gesundheit

Thomas Kolbe

Fachwissenschaftler

für Versuchstierkunde,

Ass.-Prof. für die

Service-Plattform

Biomodels Austria

Veterinärmedizinische

Universität Wien

Wer bin ich?

Foto: ©

fabiobit.it-fotolia.com

D

iese Frage soll nicht zu einer

philosophischen Innenbeschau

führen, sondern dem Phänomen

des menschlichen Bewusstseins

nachgehen. Jean-Paul Satre war der Mei-

nung, dass wir unser Verhalten selber

frei bestimmen können. Diese Sichtweise

hat unter Psychologen viele Anhänger.

Neurophysiologen dagegen meinen

nachweisen zu können, dass z. B. bereits

Mikrosekunden vor der bewussten Ent-

scheidung, eine Bewegung zu machen,

im Gehirn die entsprechenden Befehle

an die Gliedmaße gehen. Aufgrund

unserer Genetik ist die Verschaltung der

Nervenzellen im Gehirn festgelegt und

zusammen mit der Prägung durch die

Umwelt führt ein bestimmter Reiz immer

zu einer vorbestimmten Reaktion, so

folgern sie. Im Nachhinein gaukelt uns

das Gehirn dann noch vor, die Reaktion

wäre aufgrund einer freien Entscheidung

erfolgt. Es ist alleine schon faszinierend,

dass eine Zusammenschaltung von ca.

86 Milliarden Nervenzellen im Gehirn

zu einem Bewusstsein führt. Und damit

scheint das Gehirn noch nicht einmal

voll ausgelastet zu sein: Bei schizo-

phrenen Personen simuliert das Gehirn

gleich mehrere verschiedene Persönlich-

keiten. Den Computerspezialisten würde

es ausreichen, wenn sie schon ein ein-

ziges Bewusstsein simulieren könnten.

Allerdings werden sie mit der heutigen

Technik nicht an die notwendige immen-

se Zahl von Verschaltungen herankom-

men können, die in einem menschlichen

Gehirn vorhanden ist.

Auch weiß niemand, wo die kritische

Mindestgrenze ist. Man kann einen

Menschen ja nicht nach und nach um

Milliarden von Gehirnzellen reduzieren, um diese

Grenze herauszufinden.

Verletzungs- oder krankheitsbedingte Verminde-

rung von Nervenzellen ist wieder etwas anderes:

Da werden einem Menschen bereits erworbene

Eigenschaften entzogen und er auf das Minimum

lebensnotwendiger Fähigkeiten (oder sogar weni-

ger: Siehe Alzheimer) reduziert.

Einen anderen Weg als nach technischen Lö-

sungen zu suchen gehen Physiologen, die Nerven-

zellen im Labor züchten und vernetzen. Im Institut

für Molekulare Biotechnologie in Wien ist es vor

wenigen Jahren gelungen, ein ganzes dreidi-

mensionales Gehirnsegment aus Tausenden von

Nervenzellen mit allen Verschaltungen künstlich

zu züchten. Ziel ist es, eines Tages ein komplettes

Gehirn aus Nervenzellen wachsen zu lassen. Dann

wird sich zeigen, ob alleine die hohe Zahl von Ner-

venzellen ein Bewusstsein generiert. Viele Fragen

dazu sind aber noch gar nicht andiskutiert: Wie

würde solch ein Bewusstsein ohne Sinnesorgane

die Umwelt wahrnehmen können oder kommu-

nizieren? Alleine über elektronische Signale?

Dürfte man solch ein Bewusstsein einfach wieder

abschalten oder besitzt es vom ersten Erwachen

an Persönlichkeitsrechte? Wie würde es sich

entwickeln, braucht es Informationen, also eine

Erziehung? Wie würde man solche künstlichen

Intelligenzen einsetzen wollen? Als Aufseher über

Maschinen, für langweilige Routineaufgaben, wie

Sklavenarbeiter?

Und die entscheidende Frage: Warum sollte man

überhaupt künstliche Intelligenzen entwickeln

(statt die Intelligenz der vorhandenen Menschen

zu fördern)? Weil man sie braucht? Wofür genau?

Um zu lernen, wie sich menschliches Bewusst-

sein entwickelt und Fehlentwicklungen korrigiert

werden können? Oder einfach um zu zeigen,

dass man sie herstellen kann? Aus menschlicher

Hybris?

15 | JUNI 2016